In den letzten zehn Jahren scheint Natalia Lafourcade ihren Groove gefunden zu haben. Sie wechselt zwischen neuen Alben mit eigenem Material und Projekten, die es ihr erlauben, andere Wege zu erforschen, insbesondere das reiche Erbe des mexikanischen und lateinamerikanischen Liedes. In dieser Hinsicht mag Musas auf den ersten Blick wie eine Fortsetzung von Mujer Divina erscheinen, ihrer Hommage an Agustín Lara aus dem Jahr 2012, doch eine genauere Analyse zeigt einige aufschlussreiche Unterschiede zwischen den beiden Alben auf. Mit Mujer Divina übersetzte Lafourcade Laras Werk in ihr Pop-Idiom und begleitete dabei mehrere Latin-Rock- und Pop-Stars. Musas hingegen ist weder einem einzelnen Komponisten gewidmet noch ein Duett-Album. Vor allem aber: Statt alte Lieder in die Gegenwart zu holen, reist Lafourcade selbst zurück in die Vergangenheit, um ganz in traditionelle Klänge und Genres einzutauchen. Und schließlich entstand dieses Projekt nicht, um einen berühmten Komponisten aus der Vergangenheit zu feiern, sondern aus dem Wunsch Lafourcades, mit Los Macorinos zusammenzuarbeiten, dem exquisiten Gitarrenduo von Juan Carlos Allende und Miguel Peña, das unter anderem für die Begleitung von Chavela Vargas bekannt ist. Auch wenn auf Musas noch einige andere namhafte Mitstreiter zu hören sind (Gustavo Guerrero, Martín Bruhn, Ximena Sariñana, Juan Manuel Torreblanca, Héctor Castillo, David Aguilar und Cheche Alara, ganz zu schweigen von einem Duett mit dem großen Omara Portuondo), bleiben die Macorinos das Herz und die Seele dieser Platte, natürlich zusammen mit Lafourcades Stimme: Sie hat selten besser gesungen. Was das Repertoire angeht, so nimmt Lafourcade Lieder von Lara (wieder!) und Roberto Cantoral in Angriff, erweitert aber auch ihren Blick über Mexiko hinaus und deckt Frank Domínguez (Kuba), Violeta Parra (Chile) und Simón Díaz (Venezuela) ab, wobei sie sanft durch mehr als 50 Jahre lateinamerikanischer Volksmusik navigiert. Es überrascht nicht, dass Musas von Anfang bis Ende ein Genuss ist. In der Eleganz und Leichtigkeit des Albums verliert sich jedoch der gelegentliche Hörer und übersieht, was an diesem Werk wirklich beeindruckend ist. Lafourcade lässt hier nicht nur das Great Latin American Songbook wieder aufleben, sondern misst sich auch daran. Musas enthält fünf Lafourcade-Originale, die im gleichen Geist wie die Lieder der oben genannten berühmten Komponisten geschrieben wurden, und - es sei denn, man schummelt, indem man sich die Credits ansieht - ist es praktisch unmöglich, sie von ihren edlen Vorgängern zu unterscheiden. Der aus eigener Feder stammende Opener "Tú Si Sabes Quererme", ein Son Jarocho aus dem Jahr 2016, der von Lafourcade und den stets tadellosen Los Macorinos grandios dargeboten wird, ist mit Abstand der schönste Song auf dieser wunderbaren Platte und ein automatischer Anwärter auf den Latin Track des Jahres. Und es kommt noch besser: Offenbar befindet sich ein zweiter Band aus diesen Sessions bereits in der Mastering-Phase. ~ Mariano Prunes