Festival Orchestra Mörbisch · Mörbisch Festival Choir
Rudolf Bibl, conductor
50jähriges Jubiläum bei den Seefestspielen Mörbisch! Zum Geburtstag inszeniert
Maximilian Schell in diesem Jahr Johann Strauß’ letzte Operette „Wiener Blut“ für die burgenländische Opern-Air-Bühne. Rechtzeitig zum Beginn der Festspielsaison veröffentlicht OehmsClassics wieder die aktuelle Mörbischer Produktion als Studioaufnahme in der Originalbesetzung. Kaum je ist die typische, heiter-schwebende Wiener Walzer-Atmosphäre so unwiderstehlich eingefangen worden wie in „Wiener Blut“. Mit Rudolf Bibl steht wieder der anerkannte Meister des Operettenklangs, Ehrenmitglied der Wiener Volksoper und international gefragter Maestro für das Repertoire der Strauß-Dynastie, am Pult des Festspielorchesters.
Wiener Blut
Operette in 3 Akten
von Victor Léon und Leo Stein
Für die Bühnen eingerichtet von Adolf Müller jun.
Musik von Johann Strauß
Fürst Ypsheim-Gindelbach | | Rolf Wollrad |
Balduin Graf Zedlau | | Christian Zenker |
Gabriele, seine Frau | | Ursula Pfitzner |
Franziska Cagliari | | Margareta Klobucar |
Kagler | | Alexander Grill |
Pepi Pleininger | | Renée Schüttengruber |
Josef | | Daniel Serafin |
Festival Orchestra Mörbisch · Mörbisch Festival Choir
Rudolf Bibl, conductor
Bernhard Schneider, choirmaster
Apotheose des Wienertums
Diesmal ist nicht der Champagner an allem schuld, sondern das „Wiener Blut“. Heißblütigkeit
als Rechtfertigungsgrund: Klingt das nicht eher nach italienischer Leidenschaft oder zumindest französischer Galanterie?! Nein, denn wir sind wir, und das bedeutet: Österreicher der K. und K.-Ära, also ein wohltuendes
Gemisch aus allen möglichen Völkern – leichtlebig, scharfsinnig, mit dem Herz am rechten Fleck und einer gehörigen Portion Schlitzohrigkeit gesegnet.
Die Musik zu Wiener Blut wurde arrangiert.
Als Franz Jauner, der Direktor des Wiener Carl-Theaters, im Frühjahr 1899 dem Theater an der Wien die Uraufführungsrechte für eine neu zusammenzustellende Strauß-Operette wegschnappte (er erhoffte sich dadurch
Rettung vor dem drohenden finanziellen Ruin), scheute der 74-jährige „Walzerkönig“ die mühevolle Auseinandersetzung mit einem weiteren Libretto. Zudem war ihm seit dem Zigeunerbaron (1885) keine Operette mehr geglückt, die einen durchschlagenden Erfolg erzielte. Deshalb lag der Gedanke nahe, aus der Vielzahl von Strauß’ legendären Tanzkompositionen
ein neues Bühnenwerk zu formen.
Gegen Ende der 1890er Jahre nahm dieses
Vorhaben mehr und mehr Gestalt an. Auch wenn Strauß selbst wenig Interesse am Erstellen einer solchen „Pasticcio-Operette“ gehabt zu haben scheint, stimmte er dennoch zu, dass der langjährige Theaterkapellmeister und Komponist Adolf Müller jun. (1839–1901) die Partitur erstellte. Strauß durchwühlte die Bündel von Noten, die sich in seiner Villa angehäuft hatten, und schickte Waschkörbe voll betagter Manuskripte. Müller traf eine äußerst geschickte Auswahl aus bekannten und vergessenen Werken, die er meisterlich zu montieren wusste. Zum Vorteil der Musik behielt er die Originalinstrumentation weitgehend
bei und schrieb – falls nötig – in entsprechenden
Klangfarben nur dezente Überleitungen
für die großen Ensembleszenen. Ihm ist es zu verdanken, dass sich Wiener Blut wie ein Original von Johann Strauß anhört, besaß er doch, woran es dem „Walzerkönig“ im Alter zu gebrechen schien: Theatersinn, Gefühl für dramatischen Aufbau, eine Nase für Effekte und Winkelzüge.
Wiener Blut spielt nicht, wie zuvor üblich, im Wien der Gegenwart, also des zu Ende gehenden 19. Jahrhunderts, sondern in der dekorativen Vergangenheit des Wiener Kongresses
anno 1815. Im Auftreten einer Vielzahl von Aristokraten deutet sich freilich jener muntere „Schwanengesang“ auf die Monarchie
an, der nach 1918 im sogenannten „silbernen
Operettenzeitalter“ seine verklärende Fortsetzung fand.
Die Handlung
Zwischen drei Frauen, lauter Wienerinnen, doch von unterschiedlichem Stand, ist Balduin Graf Zedlau hin- und hergerissen. Der Gesandte
des „Operettenstaats“ Reuß-Schleiz-Greiz, ein Don Juan Wahlwiener Zuschnitts, verrennt sich immer mehr, um nur ja die erotischen Partnerinnen auseinander und voreinander geheim zu halten: seine Dauergattin Gabriele, seine längerfristige Geliebte Franziska Cagliari (Tänzerin im Wiener Kärntertortheater) und seine aktuelle Eroberung, die Probiermamsell
Pepi Pleininger. Was der Graf nicht weiß: Pepi ist die Herzensfreundin seines Kammerdieners
Josef. Doch dieser – gleichfalls ahnungslos – verhilft seinem Herrn sogar zu einem Rendezvous mit ihr. Wirklich verwickelt wird die Sache aber erst, als der wohlmeinende
Premierminister von Reuß-Schleiz-Greiz, Fürst Ypsheim-Gindelbach, zur Unzeit einen Anstandsbesuch macht und dabei Gattin und Geliebte miteinander verwechselt. Erpicht auf förmliche, allseits befriedigende Wiedergutmachung
stiftet Ypsheim nur noch weitere Verwirrung. Das Durcheinander steigert und erweitert sich ins Öffentliche beim glanzvollen
Diplomatenball des Grafen Bitowski im zweiten Akt. Der dritte Akt, der im Hietzinger Kasinogarten spielt, bringt die Verhältnisse schließlich wieder ins Lot: Vorläufig monogamisiert,
kehrt Graf Zedlau zu seiner Ehefrau zurück, Pepi und Kammerdiener Josef sind wieder ein Paar und Demoiselle Cagliari versucht
sich am nunmehr etwas aufgelockerten Premierminister. Die Wiederherstellung des Status quo wird durch den völlig ungetrübten Strauß-Walzer am Schluss entsprechend verklärt.
Hymnisch preist dieses ursprüngliche Konzertstück Opus 354 aus dem Jahr 1873 den besonderen Saft des Titels, das Wiener Blut.
Es ist ein Rätsel, warum die Uraufführung am 26. Oktober 1899 eher lau aufgenommen wurde. Am 3. Juni war Johann Strauß einer Lungenentzündung erlegen. Der Premieren-Termin, einen Tag nach seinem 74. Geburtstag,
sollte zur Hommage an das gerade verstorbene
Musikgenie werden. Alle sonstigen Erfolgsgaranten hatte man einkalkuliert: eine prächtige Ausstattung, verbunden mit vielen Ohrwürmern von Strauß. Direktor Jauner verstand
die Welt nicht mehr und beging kurze Zeit später Selbstmord. Keine Bühne wollte das rasch als Niete verschriene Werk nachspielen.
Den Durchbruch erzielte Wiener Blut erst am 23. April 1905 – ausgerechnet bei der „Konkurrenz“ im Theater an der Wien. Quasi
über Nacht wurde das Stück zu der nach Fledermaus und Zigeunerbaron meistgespielten
Strauß-Operette.
Zwei gelernte Altwiener dürften sich damals
bestätigt gefühlt haben: das Librettisten-Duo Victor Léon (eigtl. Viktor Hirschfeld) und Leo Stein (eigtl. Leo Rosenstein) – nachmals die bevorzugten Textautoren Franz Lehárs. Ihnen
war in Wiener Blut ein Handlungsablauf gelungen, der von unüberbietbaren Verwechslungssituationen
und der daraus resultierenden
Komik lebt. Im Zentrum steht die Figur von Fürst Ypsheim-Gindelbach, Premierminister des fiktiven, in Mitteldeutschland anzusiedelnden
Zwergstaats Reuß-Schleiz-Greiz. Von diesem werden der Handlung in schier grenzenloser
Naivität immer neue Knoten aufgebürdet.
Für das Ansehen des wilhelminischen Kaiserreichs in weiten Teilen der österreichischen
Bevölkerung ist es bezeichnend, dass Ypsheim als sächselnder Deutscher mit den Zügen der Vertrotteltheit charakterisiert wird. Aber auch für ihn gibt es Hoffnung: Zu guter Letzt ereignet sich die Läuterung des Deutschen
und hartnäckigen Moralisten Ypsheim zum überzeugten Wiener, als er die Liaison des Grafen Zedlau selbst weiterzuführen gedenkt.
Besser lässt sich die Bekehrung zum Wiener Lebensgefühl, dem Wiener Blut, nicht demonstrieren.
Richard Eckstein